„Die Depression ist gleich einer Dame in Schwarz. Tritt sie auf, so weise sie nicht weg, sondern bitte sie als Gast zu Tisch und höre, was sie zu sagen hat“ – so bildhaft soll Carl Gustav Jung über die Depression gesprochen haben. Schwarz liegt im Trend: unzählige Blogbeiträge zum Thema Depression finden sich im Internet, die Fehlzeiten wegen diagnostizierten Depressionen steigen, immer mehr Antidepressiva werden verschrieben.
Fast scheint es hip geworden, eine Depression oder ein Burnout-Syndrom bei sich zu entdecken. Betroffene beginnen den eigenen Zustand zu mystifizieren oder zu dämonisieren; sie behaupten, dass sie in ihrem Leiden von niemanden verstanden werden, dabei verstehen sie selbst das leider nicht. Sie ahnen nicht, welche Ursachen die Depression hat, sehen diese mehr wie ein Schicksalsschlag, der sie aus heiterem Himmel getroffen hat.
Die Dame in Schwarz will also etwas erzählen, wenn sie sich zu einem Menschen an den Tisch setzt. Sie hat eine Botschaft! Stellen wir sie uns als Lady vor – ganz klassisch im kleinen Schwarzen von Coco Chanel. Und nachdem sie uns eine Zeit lang schweigend gemustert hat, beginnt sie zu reden.
„Ich bin keine Krankheit.“
„Hmm … Was sind Sie denn?“
„Lass uns duzen, ich mag keine unnötige Distanz. Ich bin zu dir gekommen, um für dich da zu sein.“
„Lieb von dir. Aber … Wenn du also keine Krankheit bist, was bist du dann?“
„Wie soll ich es beschreiben … Ich bin eher ein Warnsignal, ein rotes Lämpchen.“
„Aha. Willst du mir signalisieren, dass ich kaputt bin?“
„Dass du nicht angemessen mit dir umgehst. Ich komme, damit du etwas änderst, damit du nicht kaputt gehst.“ Die schwarze Dame lächelt.
„Was ist denn an meinem Umgang mit mir nicht angemessen?”
„Das ist schon deine Aufgabe, meine Metaphern zu entschlüsseln. Ich bin nur berechtigt, dir mitzuteilen, dass ich nie ohne Gründe zu Menschen komme – ich komme immer dann, wenn man nicht sein Leben lebt. Die genaue Gründe meines Besuches muss du selbst feststellen. Schaffst du es, diese Aufgabe zu lösen, dann bin ich sofort weg.“
„Ok, ich kann es versuchen. Aber … vielleicht will ich gar nicht, dass du weggehst. Es ist schön, nicht alleine zu sein.“
„Das höre ich häufig. Meine Anwesenheit macht vieles leichter Mit der Depression hat man immer eine Entschuldigung. Aber das ist kein Dauerzustand, irgendwann musst du es begreifen.“
„Begreifen was?“
„Die Botschaft, die ich bringe.“
„Kann denn jeder die Botschaft verstehen?“
„Natürlich. Aber man muss bereit sein, ein eigenes Leben zu führen, eigene Entscheidungen zu treffen.“
Kennen Sie die Dame in Schwarz? Eine dauerhafte Überforderung und Vernachlässigung eigener Bedürfnissen ist schon ein ausreichender Grund für die Dame, zu erscheinen. Und manchmal begleitet sie für Monate oder Jahre das Leben eines Menschen. Die Dame in Schwarz ist kein Dämon und keine Mystifikation, die jeden so plötzlich, ohne Grunde besuchen kann. Bei den Menschen ohne Denkstörungen (Menschen mit psychotischen Zügen haben eben die Denkstörungen, aber hier ist die Rede von den normalen Menschen – ohne psychotischen Erfahrungen) ist Depression keine Krankheit, sie ist mehr ein Symptom. Menschen müssen lernen, das Symptom als Zeichen zu lesen und die Ursachen zu ändern.
Ein persönliches Problem, das in eine Depression mündet, ist immer das Produkt einer unangemessenen Einschätzung einer Situation und einer ebenso unangemessenen Einschätzung der eigenen Kapazitäten. Es ist also die Unfähigkeit, eine Situation im eigenen Sinne zu ändern. Wenn die Dame in Schwarz kommt, dann muss nach einer individuellen Lösung gesucht werden. Wie kann ich meine Situation so ändern, dass ich zufrieden bin? Jeden Mensch ist anders, Rezepte für eine einfache Gesunddung gibt es nicht. Manchmal ist die Gegenwart eines Psychologen hilfreich, mit dem der Betroffene die eigenen Probleme angehen kann – er sich wieder gut fühlt, bis die Dame in Schwarz verschwunden ist.
Lena Kornyeyeva