“Man braucht nur eine Insel
Allein im weiten Meer.
Man braucht nur einen Menschen,
den aber braucht man sehr.”

Mascha Kaléko (1907 – 1975)

Ein häufiges Paradox: wir sehnen uns nach Zweisamkeit und wir wollen uns gleichzeitig in einer Beziehung nicht verlieren. Die Wichtigkeit der Autonomie wird in einem Argument deutlich, das viele Menschen gegen eine Beziehung anbringen: “Ich will meine Autonomie, meine Selbstbestimmung, meine Freiheit nicht verlieren”.

Autonomie ist die Fähigkeit, für sich adäquat zu sorgen, die Fähigkeit sich (emotional, kognitiv, finanziell) unabhängig von dem Partner zu fühlen und eigene Bedürfnisse angemessen sowie rechtzeitig erst zu verwirklichen und dann zu erfüllen. Kurz gesagt: Autonomie ist die Manifestation einer erwachsenen Haltung zu sich selbst, nichts anderes als eine gut funktionierende Integrität aller drei Ich-Zustände: Erwachsenen-Ich (Fähigkeit Realität adäquat einzuschätzen), Eltern-Ich (Fähigkeit die Führung/Kontrolle zu übernehmen) und Kindheits-Ich (Fähigkeit Freude und Spaß am Leben zu erleben), wie es in der Transaktionsanalyse konzipiert wurde.
In vielen Paarbeziehungen aber beobachten wir eine Art “Verschmelzung” der individuellen Integrität; wir sehen dann einen Verlust der Fähigkeit, sich angemessen um sich selbst zu sorgen, verbunden mit einer (unangemessenen) Erwartung an den Partner, die er möglicherweise nicht erfüllt, weil auch dessen Erwartung nicht erfüllt wird… Dieser Verlust der Integrität geschieht nach dem komplementären Prinzip der psychologischen Symbiose: zwei Persönlichkeiten “ergänzen” einander durch diesen Ausschluss eines oder zwei Ichs und bilden “eine Persönlichkeit” aus drei komplementären Ich-Zuständen. Beispiel: Ein(e) Partner(in) zeigt die Funktionalität des Kindheits-Ichs (übernimmt nicht die Verantwortung, flüchtet vor den Verpflichtungen), der zweite Partner(in) hingegen zeigt ausgeprägte Erwachsenen- und Eltern-Ichs, die die Lebensaufgaben zu Erfüllung bringen, verzichtet aber auf Bedürfnisse nach Spaß, Erholung und Freude am Leben.
Eine Symbiose ist nur eine Simulation der Nähe und Verbundenheit, ein nicht-funktionierender Ersatz: Zwei Menschen in einer Symbiose können sich noch einsamer fühlen, als ohne eine Beziehung. Opfer- und Retter-Rollen, Machtspiele, Frustration und Verbitterung, offene oder subtile Abwertungen und Beschuldigungen für eine nicht funktionierende Beziehung sind oftmals früher oder später die negativen Folgen – und werden dann insgesamt Thema meiner Paarcoaching-Stunden. Die Wiederherstellung einer gesunden Autonomie ohne Verlustängste und ohne, dass die Qualität der gewünschten Nähe leidet – das ist die Aufgabe der therapeutischen Sitzungen. Und eine Wiedererfindung der alten Idee: Eine Beziehung ist nur dann glücklich, wenn jeder seinen Partner als den am besten passenden für die Bedürfniserfüllung sieht.

Eine “maßgeschneiderte” und wohltuende Balance zwischen Verbundenheit und Autonomie kann nur dann gefunden werden, wenn von einem Paar folgende Prinzipien berücksichtigt werden:

• Es gibt keine erfüllende Verbundenheit ohne gute Fähigkeit zu Autonomie.

• Es gibt keine funktionierende Autonomie ohne Klarheit, was die Bedürfnisse betrifft.

• Es gibt keine glückliche Nähe ohne vorhandene Freiheit.

• Es gibt keine echte Freiheit ohne Ehrlichkeit – Ehrlichkeit zu sich selbst und zum Partner.

• Und es gibt keine echte Liebe ohne Liebe zu sich selbst. … Liebe zu sich selbst bedeutet auch, eigene Bedürfnisse zu akzeptieren – so wie sie sind.

Lena Kornyeyeva