Man hätte erwarten können, dass die Emanzipation zu einer neuen weiblichen Identität führt, dass die Frau in der Gesellschaft nach eigenen Werten und Idealen lebt. Doch dieses schöne Ziel blieb leider eine Fiktion. Das Emanzipationsideal der Frau – scheint immer noch der Mann. Die Frauenbewegung hat dazu geführt, dass sich Frauen ausgerechnet dem männlichen Bild anzugleichen versuchen. Alles das, was eine Domäne der Männer schien, erobern nach und nach Frauen. Moderne Frauen trinken Bier aus der Flasche, schauen begeistert Fußball und können selbst ihr Auto reparieren. Manchmal bekommt man den Eindruck, dass Frauen heute die besseren und härteren Männer sind.

Im Büro einer meiner Bremer Kolleginnen hing eine Postkarte, die eine (fiktive) Stellenanzeige zeigt: „Suche fünf fleißige Männer – oder eine Frau.“ Ehrlich gesagt möchte ich keine Frau sein, die es mit vier fleißigen Männern aufnimmt. Ich habe andere Qualitäten und andere Vorzüge als die Tatkraft und den Fleiß von vier Männern. Ich muss mich für meine Weiblichkeit nicht schämen, muss mich nicht hinter männlichen Werten verstecken. Und doch scheint mir das in der deutschen Gesellschaft häufig der Fall zu sein. Die Politik sorgt dafür, dass Frauen und Männer im Berufsleben und im Alltag weitgehend gleichgestellt werden – und niemand außer ewig Gestrigen wird das beklagen wollen. Der Mann ist heute nicht mehr der alleinige Ernährer und Entscheider, manchmal ist in einer Beziehung die Frau der besser verdienende Partner. Die Hierarchie zwischen Mann und Frau ist weitgehend verschwunden (oder hat sich in einigen Fällen gar gedreht).

Mit der Angleichung der Geschlechterrollen ist beim Mann jedoch eine Unsicherheit gewachsen: Welche Rolle ist heute angemessen, was ist noch „männlich“? Kann sich der Mann gegenüber der „starken“ Frau noch als Macho geben? Kann er noch die Frau durchs Leben führen? Die Gefahr liegt auf der Hand, dass derjenige, der in einer modernen Beziehung altmodischen Mustern folgt, lächerlich wirkt. Aber was ist dann die neue Rolle des Mannes, mit der er die weibliche ergänzen kann? Soll er den traditionellen Part der Frau einnehmen, das „schwache Geschlecht“ werden? Manche Männer scheinen heute diesen Weg zu wählen, allein um eine Symmetrie in ihrer Beziehung wiederherstellen zu können. In der überwiegenden Zahl der Partnerschaften jedoch befinden sich Frauen und Männer nun auf Augenhöhe. Entscheidungen werden ausdiskutiert, Kompetenzen geteilt. Weibliche und männliche Aufgabenbereiche sind nicht mehr geschieden – weder bei der Kindererziehung noch in der Küche. Theoretisch könnten Frau und Mann sich heute umso besser verstehen und gleichberechtigter und spannungsfreier zusammenleben als je zuvor. Doch paradoxer Weise ist häufig genau das Gegenteil der Fall. Trotz oder wegen ihrer Gleichstellung entfremden sich Frauen und Männer voneinander und haben sich scheinbar immer weniger zu sagen. Das große Versprechen der Emanzipation führt anscheinend nicht immer und automatisch zu harmonischerer Zweisamkeit und auch nicht zum persönlichen Glück.

Ein kurzer Auszug aus dem Buch Die Single-Falle: Frauen und Männer in Zeiten der Selbstverwirklichung, HEYNE Verlag, München 2015

Lena Kornyeyeva