Melanie Müller und Mischa Miltenberger haben ein wichtiges Buch geschrieben: Sie schildern aus ihrer ganz persönlichen Perspektive, wie es gelingen kann, Antidepressiva abzusetzen. Beide wurden von ihren ehemaligen Ärzten im Übermaß mit Psychopharmaka versorgt und beide gingen einen schweren, manchmal fast grausamen Weg hin zu einem bewussten Leben ohne bewusstseinsverändernde Medikamente. Offen schildern sie in den ersten beiden Kapiteln ihre lange vergeblichen Versuche, von den Pillen loszukommen.
Viele Menschen, die in depressiven Phasen mit Psychopharmaka begonnen hatten, kommen später von den Tabletten nicht los. Auch wenn sie keinen Sinn mehr in der medikamentösen Behandlung sehen, haben sie doch eine enorme und durchaus nicht unberechtigte Angst vor den Absetzerscheinungen. Vielleicht hatten sie schon die individuelle Dosis heruntergefahren, dann aber derart dramatische Erfahrungen gemacht, dass sie nun lieber jeden Tag weiter die Pillen schlucken, die sie nicht wollen.
Die Medizin hatte Absetzerscheinungen von Antidepressiva lange Zeit ignoriert. Patienten, die nach Medikamentenverzicht eine unangenehme Entzugssymptomatik zeigten, wurde ein Rückfall in die alte Krankheit diagnostiziert. Entsprechend falsch wurden sie behandelt – sie wurden mit ihren psychischen und körperlichen Reaktionen allein gelassen.
Das Buch „Antidepressiva absetzen“ kann den betroffenen Lesern die Angst nehmen, die mit dem Absetzen der Psychopharmaka einhergeht. Das Buch vermittelt die begründete Hoffnung, dass der Weg heraus aus der Medikamentenabhängigkeit doch gut enden wird. Dazu gehören natürlich Änderungen des Lebensstils und der Einstellungen: alles, was depressiv machen kann, soll mit einer gesunden und liebevollen Haltung zu sich selbst ersetzt werden.
Das Buch bestätigt meine Praxiserfahrung, dass Depression ein Symptom ist – eine gesunde Reaktion auf eine ungesunde Lebensentwicklung. Es ist ein Zeichen dafür, dass man nicht sein Leben lebt und darunter leidet. Das Signal der Seele kann und sollte man rechtzeitig wahrnehmen, denn es gibt eine eindringliche Botschaft: „Mache so nicht weiter, ändere deinen Umgang mit dir selbst. Mache das, was dir gut tut. Richte dich nicht nach Erwartungen der Anderen, definiere deine Maßstäbe selbst. Vertraue dir selbst, du bist fähig und bist von Wert. Gestalte deine Beziehungen nach deinen Vorstellungen. Gehe mit dir liebevoll und wertschätzend um. Erlaube dir, glücklich zu sein.“
Auf den Weg zum guten Ende geben Müller und Miltenberger zahlreiche Tipps, so Ratschläge zur Ernährung oder Methoden der Achtsamkeit. Interviews mit Experten – Psychiater und Blog-Autoren – ergänzen die Darstellungen und geben dem Leser das Gefühl, hier umfassend über ein Thema informiert zu werden.
Jeder, der mit den Antidepressiva aufhören will, sollte dieses Buch lesen. Es beantwortet vielleicht nicht jede Frage, aber es kann und wird dem Leser eine Unterstützung sein.
Melanie Müller, Mischa Miltenberger:
Antidepressiva absetzen – Dein Wegbegleiter mit unseren Erfahrungen &
wertvollsten Tipps, 2016
Lena Kornyeyeva